Über meinen Arbeitgeber comspace habe ich aktuell die Möglichkeit, eine Ausbildung zum agilen Lerncoach bei qualityminds zu machen. Nun habe ich auch das Glück, Gelerntes direkt in die Praxis umzusetzen und auszuprobieren. Dazu gab es vor ein paar Tagen das erste „Experiment“: Eine Lerngruppe. Das ist recht unspektakulär, vor allen Dingen wenn ich an Schul- und Studienzeiten zurückdenke, wo das eine häufig genutzte Lernform war. Was ist aber, wenn sie noch heute einen konkreten Nutzen erfüllen kann?

Maßgeblich dazu beigetragen hat meine Kollegin Hanna, die gerade einen Onlinekurs auf der Plattform Coursera macht. Ihr geht es u.a. darum, dass sie kontinuierlich dran bleiben will und sich bewusst Zeit zum Absolvieren des Kurses nimmt. Vielleicht hilft hier gemeinsames Lernen?

So enstand die Idee einer „Online Lernen“ Lerngruppe. Und da sie wusste, dass ich gerade meine Ausbildung mache, haben wir dazu gesprochen und ich ergriff diese tolle Gelegenheit, um als zum ersten Mal als Lerncoach aktiv zu werden:


Da nun einige Fragen dazu gestellt wurden, dachte ich mir, dass ich doch gleich einen Blogbeitrag dazu schreiben kann. Danke an Angelika, Simon und Harald für die Fragen.


Vorbereitung

Die Vorgeschichte kennt ihr nun. Wichtig ist, dass wir uns eher im Modus des Ausprobierens befinden. Diese Experimentallerngruppe dient als Spielwiese für eine Idee, wie Lerngruppen in Zukunft bei comspace funktionieren könnten. Nämlich als Gruppen, die jeweils zu einem Thema in dreimonatigen Lernprojekten gemeinsam lernen. Eigentlich möchte ich sie auch gern „Forschungsgruppen“ nennen – das klingt cooler. Aber gut, das ist noch Zukunftsmusik. Zurück zur Experimentallerngruppe.

Die nötigen Voraussetzungen:

  • Grundlagenwissen aus meiner Ausbildung zum agilen Lerncoach
  • Kolleg*innen die Lust auf das eigenständige Lernen haben und offen/neugierig sind
  • dass wir uns bei comspace als Gesamtunternehmen mit einer Weiterentwicklung unserer Weiterbildung und unserem Lernen beschäftigen.
  • Alle Teilnehmenden bringen ein konkretes Lernthema mit. Dieses Thema sollte im weitesten Sinne berufsrelevant sein.

Die Planung funktionierte sehr informell, indem sich in unserem Slack ein Gruppe von Neugierigen gebildet hatte. Die Gruppe ist aktuell 15 Personen groß. Für den Start haben wir einen wöchentlichen Termin freitags ab 16 Uhr für 1,5 Std. ausgesucht. Unser reguläres Projektgeschäft soll dadurch so wenig wie möglich gestört und die Teilnahme so auch erleichtert werden. Zunächst wird die Lerngruppe für zwei Monate bestehen.

Ablauf

Zugegeben, der Ablauf des ersten Termins war hochgradig improvisiert.

A Einführung Vorgehen und Rollen im agilen Lernen

Hier habe ich die Grundlagen des agilen Lernens und die Rolle des Lernenden bzw. meine Rolle als Lerncoach erklärt. Wichtig war mir, dass klar ist, dass Lernende vollumfänglich (selbsgesteuert) für alle Aspekte ihres Lernens verantwortlich sind und ich als Lerncoach bei Bedarf unterstütze und einen Rahmen schaffe, jedoch niemals Vorgaben mache.
Bei der Erklärung half mir eine Metapher aus der Ausbildung : „Lernende sind Kapitän*innen ihres Lernens und nicht die Matros*innen.“ Und ich als Lerncoach eine Mischung aus Scrum Master und Trainer im Leistungssport.

B Austausch: Was wünschst du dir beim nächsten Mal in der Vorbereitung?

Da wir uns ganz am Anfang befinden, sind einige organisatorische Punkte und Rahmenbedingungen zu klären. Z.B. Ort, Termine, Buchung der Zeiten, aber auch die Frage danach, ob diese Form des Lernens intitutionell unterstützt wird. Dazu mehr im Abschnitt „Feedback“.

C Lernzielformulierung

Bevor es in die Lernsprints ging, wollte ich alle Teilnehmenden mit der Formulierung eines Lernziels vertraut machen. Daher bat ich sie, jeweils zu ihrem eigenen Lernthema einen Titel und ein Lernziel für den heutigen Tag in einem gemeinsamen Google Doc zu formulieren. Bewusst habe ich mich gegen ein Ziel für die gesamten zwei Monate entschieden, da ich selbst und (vermutlich) die Lerngrupppe darin noch ungeübt sind.
Die Gruppe fragte mich nach Feedback zu den Lernzielen. So gut es ging gab ich Feedback. Fokus war für mich, dass die Lernziele realistisch gesetzt waren (nicht zu groß, nicht zu allgemein.)

D 2 x Lernsprint (je 30 Min.) mit kleiner Review dazwischen, wie es für die Teilnehmenden war

Leider war am Ende nur Zeit für einen Lernsprint samt Review, da Abschnitt B viel Zeit benötigte. Was ich im Nachhinein gut fand, da Rahmenbedingungen und Organisation wichtiges Aspekte zu Beginn sind.

Während des Sprints konnten die Lernenden sich dort hinsetzen und auf die Art und Weise lernen, wie es ihnen angenehm war. Auch das Verlassen des Raums war möglich.

6 Personen nahmen teil. Alle hatten eigene Lernthemen oder -ideen sowie ein Laptop mitgebracht. Manche machten Onlinekurse, andere recherchierten Lernmaterial oder arbeiteten konkret mit einem zu erlernenden Tool. Wichtig war, dass die Betonung auf „etwas Neues lernen“ lag. Die Lerngruppe sollte nicht dazu dienen, einfach nur störungsfrei zu arbeiten. Mit den Lernthemen war ich im Vorfeld nicht vertraut und bin auch kein Experte in diesen Themen.

Feedback

Wichtiger Aspekt des agilen Arbeitens ist das ständige Beobachten und Anpassen des Vorgehens. Deshalb ist Feedback aus der Gruppe und Reflektion ein wichtiger Teil der Arbeit mit und in der Lerngruppe.

Das allgemeine Feedback zum Format der Lerngruppe war positiv. Hervorgehoben wurde vor allem, dass sich dezidiert zum Lernen Zeit genommen werden kann und durch die Gruppe und die Sprints ein gewisser positiver Lerndruck entsteht.

Punkt B aus dem Ablauf nahm einigen Raum ein, was im Nachhinein nicht verwunderlich ist. Dabei kamen sehr wichtige Themen auf den Tisch:

  • Der Freitag ist ein eher schlechter Zeitpunkt und 16 Uhr wird als nicht optimaler Zeitpunkt zum Lernen empfunden. Zudem konnten einige Kolleg*innen nicht oder waren im Mobile Office.
    Lösungsansatz:
    Wir doodln neue Termine. Außerdem biete ich zwei Termine pro Woche an, die frei wählbar besucht werden können. Auch eine Teilnahme per Webkonferenz möchte ich ermöglichen.
  • Wichtig war den Kolleg*innen, dass es eine generelle institutionelle Akzeptanz gibt, an dieser Lerngruppe teilzunehmen, Zeit darauf verwenden zu dürfen und dass diese Lernform als gleichberechtigt zu „normalen“ Weiterbildungen gesehen wird.
    Lösungsansatz: Ich hatte hier ein Commitment aus der Geschäftsführung vorab eingeholt, werde ein Ticket zur Buchung der Zeiten anlegen und zudem überlege ich mir eine Möglichkeit, die Lerngruppe auch in unseren regulären Weiterbildungsprozess einpflegen zu können.
  • Es kam die Frage danach auf, wie wir das Wissen und die Arbeit der Gruppe transparent und anderen zugänglich machen.
    Lösungsansatz: Auf der Gruppenebene würde ich es so lösen, dass das benutzte Google Doc als eine Art „Lernlog“ funktioniert, in dem wichtige Eckpunkte der Sitzungen notiert werden. Was das Transparentmachen von Erlerntem betrifft, möchte ich diese „Büchse der Pandorra“ langsam öffnen – ich halte es an dieser Stelle für wichtiger, das Vorgehen und meine Rolle zu erproben, als schon jetzt über komplexes Wissensmanagement nachzudenken. Ich habe Erfahrungen gemacht, wie aufreibend und völlig an realen Bedürfnissen oder praktikabler Wissenweitergabe vorbei formalisiertes Wissensmanagement z.B. in Form von Wikis oder Intraneteinträgen sein kann.

Learnings

Insgesamt bin ich zufrieden und es hat Spaß gemacht. Für einen Einstieg und eine erste Sitzung war die improvisierte Vorbereitung und mein Wissen ausreichend. Auch den Ansatz, eine Experimentallerngruppe (neben anderen Maßnahmen) anzuregen, halte ich aktuell für sinnvoll. Denn damit kann gleichzeitig an der Etablierung von agilem Lernen bei comspace gearbeitet bzw. ebenso auch darüber(!) gelernt werden.

Für das nächste Mal möchte ich mich, neben den organisatorischen Maßnahmen, verstärkt der Formulierung von guten Lernzielen widmen. Darüber hinaus gilt es natürlich, die Ausbildung nicht zu vernachlässigen.

Zukünftig sehe ich vor allem die Individualisierung des Lernens innerhalb einer Lerngruppe mit unterschiedlichen Themen als Herausforderung. Auch das Austarieren von individuellen Bedürfnissen und das Eingehen auf die einzelnen Lernenden während der gemeinsamen Lerngruppe wird spannend.

Und was mir direkt klargeworden ist: Sofort ist in der ersten Sitzung das eingetreten, was ich in der Ausbildung gelernt habe und als wichtige Aufgabe empfinde: Als Lerncoach kümmere ich mich auch um die Verankerung von agilem Lernen in der Unternehmenskultur und in formalen Abläufen.

Bildnachweis: Beitragsbild by NeONBRAND on Unsplash

2 Replies to “Meine erste Lerngruppe als agiler Lerncoach (in Ausbildung)”

  1. Vielen Dank Dir für den ausführlichen und gut lesbaren Praxisbericht. Ich finde es interessant, dass Du gleich mit so einer großen Gruppe von 15 Personen startest, die zudem alle unterschiedliche Lernanliegen haben. Ich habe gute Erfahrungen mit Lerngruppen von ca. 3-5 Personen gesammelt, alles was darüber hinaus geht empfand ich immer als eher schwierig.

    Was mich noch interessieren würde: Ich lese aus Deinem Beitrag heraus, dass der Lernsprint ein Termin auf Arbeitszeit ist, an dem ich vor Ort zu einem Thema lernen kann. Aber warum Lernende zu einem festen Zeitpunkt versammeln, wenn die Lernthemen individuell und damit unterschiedlich sind? Wäre es nicht besser, wenn dieses Lernen in den Arbeitsprozess integriert wäre oder wenn Lernende sich „echt“ selbstgesteuert Lernzeiten nehmen?

    Danke, dass Du Deine Erfahrungen hier teilst. Ich freue mich sehr auf Deine zukünftigen Beiträge!

    1. Hi Simon,

      herzlichen Dank für deine Gedanken und das Lob. (Du bist damit übrigens die erste Person, die auf dieser Seite kommentiert hat.)
      Der Start in dieser Gruppengröße war prinzipiell nicht geplant. Die Slack Gruppe ist auf Initiative meiner Kollegin Hannah entstanden, das Event wurde auf unserer hauseigenen Vernetzungsplattform talee angekündigt und ganz informell haben sich so 15 Leute zusammengefunden. Ich hatte also keine Wahl. Das nächste Mal – vor allen Dingen, wenn ich die Termine anpasse – kann es natürlich passieren, dass sich mehr oder gar alle 15 Leute auf einmal zusammenfinden. Vorerst baue ich darauf, dass den Teilnehmenden die Zeit, in Ruhe lernen zu können, den größten Nutzen bringt – und nicht meine enge und durchdachte Betreuung als Lerncoach. Das fände ich in der Gruppengröße problematisch. Ich vermute aber, dass das zunehmen wird und ich hoffe, ich kann /wir können bis dahin weiter gute Fortschritte machen.

      Mehr „echte“ Selbststeuerung und eine Lösung aus dem formalen Rahmen eines festen Lernorts und fester Lernzeit ist definitiv ein Ziel. Du bringst die Fragen völlig zurecht an. Ich halte es aber, gerade in so einer Startphase, für klüger einen formalen und sanft begrenzten Rahmen zu schaffen. Es geht vor allem darum, die Kolleg*innen zu mehr selbstgesteuertem Lernen zu ermutigen, sie mit den Gedanken des (agilen) Lernens vertraut zu machen und einen Raum zu schaffen, der sich „gesichert“ anfühlt. Das ist nicht zu unterschätzen, wenn, wie bei uns, Lernzeit faktisch in Konkurrenz zum Projektgeschäft steht. Wir möchten lernen voranbringen und sehen das als sehr wichtig an bzw. setzen diese Grenzen eigentlich auch nicht formal, jedoch ist das eine Hürde, die durchaus in Köpfen existiert.

      Plus, ich kann genau so in einem überschaubaren Rahmen wachsen, testen, optimieren und „Botschafter“ für Lernen sein – ohne meine anderen Aufgaben als Personaler (People & Culture Manager) zu sehr zu vernachlässigen.
      Aber wir sind uns einig: Ich würde ich es lieben, wenn sich Lernende aus der Lerngruppe lösen, sich ihren eigenen Weg suchen und versuchen, das Lernen zur Arbeit zu bringen. Das muss das Ziel sein – zumal ich aktuell noch der einzige meiner Art bei comspace bin und mit Sicherheit schnell an meine Kapazitätsgrenze gelange.

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